Redebeitrag :
Mein Name ist Andreas Foitzik. Ich arbeite bei adis e.V. und spreche heute hier für die Gruppe ZAK³.

Vor gut 34 Jahren haben wir als ZAK auch hier in Tübingen demonstriert. Im Bundestagwahlkampf 1990 hat der SPD-Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine einen der ersten rassistischen Asyl-Wahlkämpfe geführt. Auch damals gab es in der Folge rassistische Übergriffe, ein paar Jahre später dann die brutalen Brandanschläge in Mölln und Solingen. Schon damals war klar, wer die wirklichen Brandstifter waren.
Auch jetzt sehen wir wieder, dass die Brandstifter auf beiden Seiten der sogenannten Brandmauer stehen. Die Brandmauer bröckelt schon lange, nun brennt sie auf beiden Seiten lichterloh.
Es unerträglich, dass der Tabubruch, gemeinsam mit der in großen Teilen faschistischen AfD einen Antrag abzustimmen, direkt nach einer Gedenkstunde zum Holocaustgedenktag von statten ging. Max Czollek hat dies zurecht als Erinnerungstheater bezeichnet, wenn das Erinnern an die geschichtliche Verantwortung unseres Landes zum reinen Ritual wird ohne irgendeine Folge auf das politische Handeln in der Gegenwart. Ich kann gut verstehen, wenn nun Holocaustüberlebende ihr Bundesverdienstkreuz zurückgeben. Die Lehre aus der Geschichte muss ein für alle mal sein: Menschenrechte sind nicht verhandelbar!
Den Preis für den Tabubruch zahlen alle Menschen, die als Migrant*innen gelesen werden und sich heute mehr denn ja fragen müssen, ob sie sich in diesem Land noch sicher fühlen können.
Den Preis zahlen aber auch viele andere Gruppen. Zum Beispiel Transpersonen, die immer öfter Opfer von Übergriffen werden.
Die erneute Eskalation der rassistischen Debatte in Folge der brutalen Anschläge in Magdeburg und Aschaffenburg hat ja ganz offensichtlich mit den Hintergründen der schrecklichen Vorfälle nichts zu tun.
Ich würde gerne in einer Gesellschaft leben, die sich in einer solchen Situation Zeit nimmt, innezuhalten. In einer Gesellschaft, die Räume öffnet, um gemeinsam zu trauern und sich gegenseitig zu stärken.
In einer Gesellschaft, die in der Lage ist, auch bei solch grausamen Terrorakten noch die Menschen hinter den Taten zu sehen. Nicht, um die Taten zu entschuldigen, aber um zu verstehen, was sie zu tun haben, mit ungelösten Problemen unserer Gesellschaft und auch der globalen Weltverhältnisse.
Eine Gesellschaft, die Verantwortung auch dafür übernimmt, dass Jahrhunderte von kolonialen und postkolonialen Ausbeutungsverhältnissen und Naturzerstörung mit zu der Situation beigetragen haben, in der solche Taten passieren.
In einer solchen Gesellschaft würden nach solchen Ereignissen andere Fragen gestellt. In dieser Gesellschaft würden alle zur Verfügung stehenden Mittel genutzt, um mehr soziale Gerechtigkeit herzustellen. Die Gesellschaft würde den Menschen unterstützend zur Seite stehen, die durch die Verhältnisse krank geworden sind. Stattdessen, das erleben wir auch hier gerade in Tübingen, wird gerade dort gespart, wo Menschen auch präventiv unterstützt werden sollen.
In der Debatte über Migration hat sich in den letzten Jahrzehnten ein gesellschaftliches Narrativ verfestigt, das Hans Seehofer mit dem Satz „Die Migration ist die Mutter aller Probleme“ zusammengefasst hat. Es macht Politik und Medien jederzeit möglich, die Migrationsdebatte zu missbrauchen, um andere gesellschaftliche Probleme zu vertuschen. Und dies völlig unabhängig, ob es einen sachlichen Zusammenhang gibt oder nicht.
Dies macht es aktuell auch der AfD möglich, die Parteien vor sich herzutreiben. Die Positionen der AfD, die vor wenigen Jahren noch zu einem großen Aufschrei geführt haben, sind längst in der politischen Mitte verankert. Das Ergebnis ist, das so gut wie keine Partei in diesem Wahlkampf wirklich offensiv die Migrationsgesellschaft verteidigt und Minderheiten- und Menschenrechte in den Vordergrund stellt.
Vor einem Jahr standen wir auch hier mit 6000 Menschen gehen die Remigrationspläne der AfD. Aber wo waren wir, als dann in Folge die Regierung immer mehr der AfD-Forderungen umgesetzt hat und das Menschenrecht auf Asyl immer mehr ausgehöhlt hat. Wir stehen heute wieder hier. Aber es wird nicht ausreichen. Es muss weitergehen.
Ein erster kleiner Vorschlag: es ist in diesem Land ungewöhnlich, in seinem Bekanntenkreis offen zu sagen, wen man wählt. Wie wäre es, wenn wir alle in den nächsten Tagen, den Menschen, die wir kennen, denen wir mehr oder weniger nahestehen, mündlich, per Mail, per Signal wie auch immer mitteilen, warum wir wen wählen und vor allem warum wir wen nicht für wählbar halten.
Ein ganz großer Dank an die Aktivist*innen von FFF, die – ich war am Rande beteiligt und habe es daher mitbekommen – mit einem großen Engagement und einem beeindruckenden achtsamen Umgang miteinander diese Kundgebung organsiert haben.