Kostenloser Nahverkehr – ein weltweiter Vergleich

Deutschland diskutiert über kostenlosen Nahverkehr. In anderen Ländern
wird das Modell seit Jahren erprobt – mit unterschiedlichen Bilanzen.

Berlin (dpa)-Der Vorstoß der Bundesregierung für einen teilweise
kostenlosen Nahverkehr sorgt weiter für Diskussionen. Kommunen und
Sozialverbände kritisieren vor allem die ungeklärte Kostenfrage. Manche
Städte im Ausland sind da schon weiter – und bieten seit Jahren auf
vielen Strecken freie Fahrt. Doch nicht immer klappt der Versuch.

Estland: Die estnische Hauptstadt Tallinn gilt als europäischer
Vorreiter in Sachen kostenloser Nahverkehr. Seit 2013 können gemeldete
Einwohner umsonst fahren. Die Stadtverwaltung will damit Staus und
Luftverschmutzung verringern. Von der Stadt heißt es dazu: Die
Geschichte sei ein Erfolg und die Ziele erreicht worden. Die Autos seien
dadurch aus den verstopften Straßen der Innenstadt verschwunden und die
Mobilität ärmerer Familien erhöht worden. Auch finanziell sei das Ganze
tragfähig. Die wegfallenden Einnahmen aus dem Fahrkartenverkauf seien kompensiert
worden durch die zusätzliche Steuereinnahmen. Wegen des Nulltarifs haben
Bürger aus dem Umland ihren Wohnsitz umgemeldet. Oder bisher nicht
angemeldete Tallinner sich offiziell als Einwohner registriert. Unter
dem Strich stehe am Ende sogar ein Plus, das die Stadt dazu nutzt, um
den öffentlichen Nahverkehr weiter zu modernisieren.

Polen: Polen hat vor allem im Winter mit Smog zu kämpfen. Mehrere
polnische Kleinstädte bieten allen Bewohnern einen kostenlosen
Nahverkehr an. An Tagen mit besonders hoher Schadstoffbelastung ist der
Nahverkehr auch in großen Städten wie Warschau und Krakau für alle
kostenlos.

Spanien: Seit Mitte der 1990er Jahre dürfen die rund 85 000 Einwohner der
Küstenstadt Torrevieja städtische Buslinien gratis benutzen. Seit
einigen Jahren ist dazu eine Karte nötig, für die man acht Euro pro Jahr
zahlt. Das System des kostenlosen Nahverkehrs soll allerdings nach einem
Beschluss von Ende 2017 im Laufe dieses Jahres eingestellt werden. Es
sei sowohl finanziell als auch juristisch nicht mehr tragbar, hieß es
bei einer Sitzung des Stadtrates.

Frankreich: In Frankreich gibt es nur vereinzelt Gratis-Nahverkehr,
Medienberichte sprechen von 20 bis 30 Kommunen und Gemeindeverbänden.
Manche haben aber schon viel Erfahrung mit dem Modell: In der Stadt
Compiègne brauchen Fahrgäste in den Bussen etwa seit 1975 keinen
Fahrschein mehr. Das größte Gratis-Nahverkehrs-Netz in Frankreich hat
nach eigenen Angaben der Gemeindeverband von Niort (120 000 Einwohner),
wo die Busse seit September 2017 ohne Fahrschein genutzt werden können.

Belgien: In Hasselt, der Hauptstadt der belgischen Provinz Limburg,
konnten Bürger fast 16 Jahre lang kostenlos die öffentlichen Busse
nutzen. Im Mai 2013 zog die Stadtverwaltung dann aber die Reißleine. Der
Grund waren die hohen Kosten. Umweltschützer und auch Händler waren
enttäuscht. Sie argumentierten, die Gratis-Busse hätten den Autoverkehr
deutlich reduziert und die Bekanntheit und Attraktivität der Stadt
gesteigert.

Dänemark: Auf mehreren der kleinen dänischen Inseln ist Busfahren gratis
– unter anderem auf Læsø und Ærø. In Odense, der Innenstadt der
drittgrößten dänischen Stadt, fährt alle zehn Minuten ein gratis
City-Bus – ein pinker Mini-Bus, der mit Märchenfiguren dekoriert ist.

England: Einige britische Städte haben bereits vor mehreren Jahren
kostenlosen Bustransport angeboten. Mittlerweile sind die meisten dieser
Angebote aber wieder eingestellt. Nur in Manchester, Bolton und
Stockport scheint das Modell zu überleben. Hier gibt es immer noch
kostenlose Metroshuttles, die tagsüber die wichtigsten zentralen
Haltestellen verbinden.
In Rotherham und Sheffield gab es «Free Bee»-Busse, die von der
Regierung subventioniert wurden. Nach einer Kürzung der Zuschüsse
stellte Sheffield den Service ein. In Rotherham waren die Busse dank
Finanzierung durch ein Einkaufszentrum noch einige Zeit gratis
unterwegs, kosten jetzt aber ein Britisches Pfund pro Fahrt. Generell
gibt es Programme für Menschen mit Behinderungen sowie Senioren. Sie
können in Großbritannien und in Irland den Nahverkehr kostenlos nutzen,
wenn sie einen entsprechenden Busausweis besitzen.

USA: In den USA gibt es eine Reihe von Versuchen mit kostenlosen
Nahverkehrsangeboten. Oft werden Shuttle-Busse von regionalen Bahnhöfen
in entlegenere Ortschaften angeboten. In Baltimore gibt es einzelne
kostenlose Bus-Routen, ebenso in Miami. In der Innenstadt von Kansas
City gibt es eine kostenlose Tram-Route. Die Stadt Chapel Hill in North
Carolina betreibt mit Hilfe von Bundeszuschüssen ein kostenloses System
mit modernen Hybrid-Busen. Im Mason County im Westküsten-Bundesstaat
Washington wird ein ganzer Landkreis kostenlos mit Bussen versorgt –
flankiert etwa von Pool-Lösungen für entlegene Gebiete.

Thailand: In Bangkok durften ärmere Leute bis vergangenes Jahr auf
einigen Strecken Busse und Bahnen gratis benutzen, ohne sich besonders
ausweisen zu müssen. Jetzt müssen sie dafür eine «Wohlfahrtskarte»
vorzeigen. Für Kinder, die kleiner sind als 90 Zentimeter, muss
weiterhin nichts bezahlt werden. Von Einheimischen gibt es immer wieder
Klagen, dass das ausgebaute Bahnsystem, das unter- und oberirdisch
verläuft, zu teuer ist.

Malaysia: In Kuala Lumpur sind auf vier Strecken in der Innenstadt
rosafarbene Gratis-Busse unterwegs – allesamt mit Klimaanlage und auch
mit kostenlosem WLAN ausgestattet.

Australien: Die Großstädte Melbourne, Perth und Adelaide bieten auf
einigen Strecken in der Innenstadt kostenlosen öffentlichen Nahverkehr
an. In Melbourne, der zweitgrößten Stadt des Landes, ist die Tram
teilweise gratis. In Perth an der Westküste muss in der U-Bahn auf einer
kurzen Strecke nichts bezahlt werden. In Adelaide an der Südküste sind
die Busse im gesamten Zentrum kostenlos.

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Feb 18