ZAK Tübingen


 
über uns von uns an uns links
 
  Stern  
 
 
 
 

"TüBus umsonst für alle!"


Eine lokale Kampagne für das Grundrecht auf Mobilität in Zeiten des Klimawandel / von der Gruppe ZAK, Tübingen



"Nulltarif im Stadtverkehr!" - mit dieser Forderung hat die Tübinger Gruppe ZAK ein Jahr lang versucht, soziale Frage und Ökologie zusammen zu bringen. Ein Beispiel für eine linke Intervention in die Klimaschutz-Debatte?



Eine Zwischenbilanz.

Entstanden ist die Idee einer Kampagne für einen kostenfreien öffentlichen Nahverkehr aus der Auseinandersetzung mit zwei zunächst unterschiedlichen Themen, die uns die letzten Jahre beschäftigt haben: Grundeinkommen und Klimawandel.

An der Debatte um das bedingungslose Grundeinkommen faszinierte uns am meisten die Idee der "Sozialen Infrastruktur" (www.links-netz.de). Die für ein gutes Leben notwendigen Güter wie Bildung, Gesundheit, Mobilität usw. werden für alle umsonst zur Verfügung gestellt und damit dem Profitstreben entzogen. Dieses Modell bricht mit der derzeitigen Tendenz, dass immer mehr öffentliche Güter privatisiert werden, was in der Regel eine Umverteilung von unten nach oben nach sich zieht.

Die gleiche Umverteilung von unten nach oben begegnete uns wieder in der Auseinandersetzung mit der Klimafrage. Die meisten Klimaschutz-Appelle verlangen nur von den "kleinen Leuten", den Gürtel enger zu schnallen, während die Vermögenden Subventionen für Gebäudesanierungen und flotte Autos abgreifen. Ökologie und Klimaschutz bedeuten für die meisten Menschen deswegen nur "Verzicht". Umgekehrt ignorieren linksradikale Forderungen nach "Alles für Alle!", dass unsere bisherige Lebensweise an ihre ökologischen Grenzen gestoßen ist.

Ökologisch und sozial

Dagegen wollen wir die soziale und die ökologische Perspektive nicht gegeneinander ausspielen, sondern zusammen bringen. Im Frühjahr 2008 veröffentlichten wir den Vorschlag für eine Kampagne "TüBus umsonst - Nulltarif im Stadtverkehr!" und luden umwelt- und verkehrspolitische Gruppen, soziale Initiativen, linke Gruppen und Einzelpersonen dazu ein. Bis zu den Kommunalwahlen im Juni 2009 wollten wir genug außerparlamentarischen Druck für die Forderung aufbauen.

Ein Nulltarif im öffentlichen Nahverkehr hätte einen überdurchschnittlichen Nutzen für Arme, für Familien mit Kindern, für Flüchtlinge. Klimaschutz würde hier also einmal nicht nur "Verzicht" bedeuten, sondern auch einen "Gewinn" bringen: an Mobilität und an sozialer Gerechtigkeit. Gleichzeitig könnte ein Nulltarif dazu beitragen, dass mehr Menschen das private Auto stehen lassen und auf den Stadtbus umsteigen. Das brächte für alle einen Gewinn: an Lebensqualität in der Stadt (weniger Stress, Lärm und Gestank). Eine wirksame Reduzierung des Autoverkehrs würde sehr viel schneller und viel mehr CO2 einsparen als alle Häusersanierungs-Programme (die natürlich trotzdem richtig sind).

Die Nulltarif-Forderung richtet sich "nach oben" an die kommunalpolitisch Verantwortlichen. Aber sie zielt auch "nach unten", indem sie an jedeN appelliert, die eigenen Konsumgewohnheiten in Frage zu stellen.

Selbstverständlich wäre ein örtlicher Nulltarif bereits mitten im Kapitalismus machbar. Die bestehenden Produktions- und Eigentumsverhältnisse blieben ja ebenso unangetastet wie die Arbeitsbedingungen der BusfahrerInnen. wahrscheinlich würden sogar Einzelhandel, Gastronomie und Kultureinrichtungen von einem Nulltarif profitieren. Aber die Forderung weist auch über den Kapitalismus hinaus: Wir klagen ein Grundrecht auf Mobilität ein, sodass Mobilität nicht mehr als Ware gehandelt wird, sondern allen "einfach so" ermöglicht wird - ohne Geld, ohne Antrag, ohne Automat. Wir agitieren nicht nur gegen Kohlendioxidausstoß, sondern auch gegen soziale Ausgrenzung. Und wir wollen JETZT damit anfangen, mit einem lokal (real-)politisch umsetzbaren Projekt.

Dabei brauchen wir nicht von vorne beginnen, sondern können uns auf historische Vorläufer (militante Nulltarifkampagnen in den 1970ern, etc.) und auf aktuelle Umsonst- und Aneignungs-Kampagnen in anderen Städten beziehen. Und wir behalten die weltweite Perspektive im Blick - denn in den Städten der Zukunft droht der ökologische und soziale Kollaps, der vor allem die Armen trifft und von gesellschaftlicher Teilhabe und Mobilität ausschließt.

Dabei ließen wir bewusst offen, was für uns im Vordergrund steht: Die reale Umsetzung der Nulltarif-Forderung (oder etwaiger Kompromisslösungen) oder die politische Bewusstseinsbildung und Propaganda. Wir hofften, die Kampagne würde auf ganz unterschiedliche Milieus und Spektren ausstrahlen: Öko-Szene, verkehrspolitisch Aktive, soziale Initiativen, linke Szene.

In Tübingen anfangen

Die politischen Rahmenbedingungen erschienen uns in Tübingen relativ günstig. Die baden-württembergische Universitätsstadt (85.000 EinwohnerInnen) hat bereits ein relativ gut ausgebautes Busnetz. Das hat allerdings seinen Preis: Eine einfache Fahrt innerhalb der Stadt kostet zwei Euro, eine Monatskarte 36,50 Euro, ein Sozialticket 27 Euro - also mehr als das Doppelte dessen, was "Hartz-IV" für Mobilitätskosten zugesteht. Die städtische Verkehrsgesellschaft nimmt jährlich rund sechs Millionen Euro aus dem Ticketverkauf ein. Dieser Betrag müsste dann anderswo herkommen - wahrscheinlich noch mehr, weil wegen der vielen zusätzlichen Fahrgäste auch viele neue Busse und Fahrten gebraucht werden.

Im Tübinger Gemeinderat gibt es zumindest rechnerisch eine Mehrheit aus Grünen, SPD und Linken. Der grüne Oberbürgermeister Boris Palmer gilt als innovationsfreudig und als Verkehrspolitikfreak, und er tritt bundesweit als engagierter Klima- und Umweltexperte auf. Deswegen beschränkten wir unsere Forderung auf den Tübinger Stadtverkehr. Eine Ausweitung des Nulltarifs auf den regionalen Tarifverbund schien uns politisch nur schwer durchsetzbar, weil die ländliche Umgebung politisch viel konservativer ist - und bisher sehr viel schlechter mit Busverbindungen versorgt ist.

Im Rahmen der "Tübinger Aktionswochen gegen Armut und Ausgrenzung" organisierten wir im Oktober 2008 ein öffentliches Hearing zu den möglichen Auswirkungen eines Nulltarifs für verschiedene Bevölkerungsgruppen (von Arbeitslosentreff bis Stadtseniorenrat). Das Hearing zeigte, wie richtig wir mit dieser Idee liegen. Für Erwerbslose und Geringverdienende, sowie für Familien mit Kindern ist der Nutzen offensichtlich. Manche SeniorInnen hätten nicht länger mit den komplizierten Ticketautomaten zu kämpfen. Am eindrücklichsten war der Bericht des Asylzentrums. Die meisten Flüchtlinge haben schlicht kein Geld für Fahrscheine. Ihnen bleibt nichts anders übrig, als "umsonst" zu fahren mit den bekannten Folgen von Bußgeldern bis hin zu daraus entstehenden Problemen mit dem Aufenthaltsstatus. All dies wäre vom Tisch, wenn es keine Kontrollen mehr gäbe.

Klar wurde bei dem Hearing aber auch, dass für manche Gruppen nicht die Ticketpreise das Problem sind, sondern der Service: Studierende fahren schon heute mit konkurrenzlos günstigen Regionalverbunds-Semestertickets, Leute mit Schwerbehindertenausweis fahren sogar ganz umsonst (bzw. gegen eine nominale Ausweisgebühr). Für RollifahrerInnen, Blinde und Gehbehinderte stehen technische Barrieren im Vordergrund. Und die Schichtarbeitenden des Uniklinikums haben schlicht keinen Nerv, am frühen Morgen und späten Abend lange auf den Bus warten zu müssen und fahren lieber mit dem Auto.

Viel Zustimmung

In der Öffentlichkeit erhielt unser Vorschlag erstaunlich viel Zustimmung: als wir beim sportlichen Großereignis Tübingens, dem alljährlichen Stadtlauf, "Umsonst-Tickets" an die uns zujubelnden ZuschauerInnen verteilten, als wir für die Mayday-Parade 2008 einen Stadtbus mieteten und zum Umsonst-Party-Bus umrüsteten, oder als wir uns als Hunde verkleideten und in den Bussen "Freifahrscheine" verteilten (siehe Foto). Einige Aktionen stießen auf ein erstaunlich positives Presseecho.

Auch bei den KommunalpolitikerInnen stießen wir auf Interesse. Die Gemeinderatsfraktion der Linken unterstützte die Idee von Beginn an. AL/Grüne, SPD und der Oberbürgermeister luden uns zu Gesprächen (allerdings bisher ohne konkrete Ergebnisse). Immerhin beantragten die Grünen vor kurzem, auch in der Region ein Sozialticket einzuführen. Solche "Kompromisslösungen" würden für viele Betroffene schon eine Verbesserung bringen, auch wenn dann Mobilität nicht als Grundrecht anerkannt, sondern weiterhin als Ware behandelt würde (deswegen fordern wir auch nicht einfach billigere Sozialtickets).

Auf der "Habenseite" unserer Zwischenbilanz steht somit: Die hinter der Nulltarif-Forderung liegende politische Idee hat sich bewährt. Viele Menschen stimmen der Verbindung "Klima" und "sozial" zu. Und sie sind fasziniert von der Radikalität des Vorschlags und von unserem Beharren auf eine konkrete Umsetzbarkeit.

Wenig Beteiligung

Trotzdem ist aus der Idee keine Kampagne geworden. Den positiven Reaktionen stand kaum Bereitschaft zur Mitwirkung gegenüber. Es gab keine nennenswerte Mobilisierung. Unsere öffentlichen Veranstaltungen waren eher schlecht besucht, für die Aktionen konnten wir nur wenige zum Mitmachen animieren. Andere verkehrspolitische, sozialpolitische oder linke Gruppen haben unsere Forderung nicht aktiv aufgegriffen und zu ihrer eigenen gemacht.

Vielleicht war unser Spagat zwischen Realpolitik und Utopie zu breit. So war den verkehrs- und umweltpolitischen Gruppen unser Ansatz offenbar zu radikal. Sie wollten sich nicht mit einer "utopischen" Forderung blamieren und beschränken sich daher auf Ideen wie Elektrofahrräder. Vielleicht war ihnen auch die linke Gruppe ZAK als Partner politisch zu unkalkulierbar. Sie erhofften sich von unserer Initiative vor allem, dass das Thema ÖPNV auf die Tagesordnung kommt um in unserem Windschatten ein paar Verbesserungen einfordern zu können. Klar war auch, dass für diese Szene die soziale Frage keine große Rolle spielt.

Gerade aber das Fehlen von verkehrspolitischen Know-how (das wir selbst nicht mitbringen) war kaum zu ersetzen. Für die realpolitische Schiene unserer Kampagne hätten wir unbedingt ein durchgerechnetes und juristisch haltbares Finanzierungsmodell gebraucht. Fast jedes Gespräch steuerte auf dieses Thema zu: "Wer soll das bezahlen?" (Fußnote). Das zeigt freilich auch, wie schwach unsere utopische Kraft geworden ist. Offenbar können viele Leute keine Wünsche und Forderungen mehr äußern, ohne sie gleich unter den Finanzierungsvorbehalt zu stellen.

Umgekehrt erschien der linken/linksradikalen Szene unsere Forderung zu brav. Eine Kampagne, die früher oder später auf Mehrheiten in den kommunalen Gremien zielt, war ihnen zu realpolitisch. Unser Gedanke, dass das Einklagen des Grundrechts auf Mobilität eine kapitalismuskritische Perspektive aufmacht, stieß hier auf wenig Interesse. Abgesehen davon bewegt sich zumindest der jüngere Teil der linksradikalen Szene überwiegend mit dem Fahrrad oder mit dem billigen Studierenden-Semesterticket durch die Stadt - und hätte daher von einem Nulltarif persönlich keinen direkten Nutzen. Das gilt allerdings auch für unser eigenes soziales Umfeld (Berufstätige, akademisch geprägte Linke): Für die meisten von uns ist die Busnutzung keine Frage des Geldes.

Wie geht es weiter? Für eine richtige Kampagne sind unsere bisherigen Kräfte zu schwach. Allerdings wollen wir angesichts des wachsenden Echos auf unsere Forderung das Thema auch nicht fallen lassen. Der anstehende Kommunalwahlkampf bietet sicher noch einige Möglichkeiten zur Intervention. Und wir hoffen natürlich, dass Leute in anderen Städten diese Idee und unsere Erfahrungen aufgreifen - und so versuchen, die Klimafrage als gesellschaftliche Frage zu stellen.



Gruppe ZAK, Tübingen (April 2009)

Fußnote:

Unsere vage Antwort auf die Finanzierungsfrage: Die notwendigen sechs bis zehn Millionen Euro könnte man aus dem städtischen Etat bezahlen. Dazu müsste die Stadt die kommunalen Steuern erhöhen (Grundsteuer oder Gewerbesteuer). Denkbar wäre auch eine direkte, zweckgebundene Mobilitätsabgabe (Größenordnung: jährlich 100 Euro pro Erwachsenem). Eine solche Umlage ist allerdings derzeit gesetzlich nicht möglich. Der baden-württembergische Landtag könnte allerdings die gesetzliche Grundlage für kommunale Nahverkehrsabgaben schaffen - eine Idee, die auch der Tübinger OB Palmer unterstützt. - Als Paradebeispiel für einen kostenlosen Nahverkehr gilt die belgische Stadt Hasselt (80.000 EinwohnerInnen). Seit der Einführung des Nulltarifs hat sich dort die Zahl der Bus-Fahrgäste vervielfacht, und die örtliche Wirtschaft profitiert. Das Modell wird vor allem über Landeszuschüsse finanziert.

Kontakt:
ZAK
c/o KHG
Belthlestrasse 40
72072 Tübingen
Email: zak@zak-tuebingen.org

 
 

Nach oben!