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Kampagne Tü-Bus-Umsonst - April 2009 bis April 2010

Dieser Text ist eine Ergänzung zu unserer im April 2009 in "analyse und kritik" veröffentlichten Zwischenbilanz. Er zeichnet wesentliche Entwicklungen und unsere Diskussionen nach, setzt dabei aber die Kenntnisse unserer Grundidee, sowie die Erfahrungen des ersten Kampagnenjahres voraus.

1. Kommunale Dynamik auf der Öko-Schiene


Ein Meilenstein in unserer ursprünglichen Kampagnenplanung war die Kommunalwahl im Juni 2009. Trotz vielfältiger Kontakte mit mehreren Gemeinderatsfraktionen hat nur die Linke das Thema im Wahlkampf aufgegriffen. In der Öffentlichkeit hat das Thema in diesem Kontext nicht stattgefunden. Im Anschluss gab es noch einige zaghafte Versuche, die Fraktionen (v.a. AL, SPD und Linke) zu bewegen, das Thema weiterzuführen, indem sie Anfragen u.a. zur Finanzierbarkeit an die Verwaltung stellen. Dies verpuffte allerdings völlig.

Eine neue Dynamik bekam das Thema dann durch die Verwaltung selbst. OB Boris Palmer griff eine Idee wieder auf, die er schon bei unserem ersten Gespräch geäußert hatte. Eine befristete Zeit sollten alle Busse samstags umsonst zu benutzen sein. Intern hatte er diese Idee auch als Testballon für einen Nulltarif verkauft. Auch in seinem Buch ("Eine Stadt macht blau", 2009) nahm er positiv Bezug auf die Idee, allerdings sei die Zeit noch nicht reif.

Nach außen hin argumentierte Palmer zu diesem Zeitpunkt eher mit einer Werbemaßnahme für den ÖPNV ("Klebeeffekt"), mit der Förderung des innenstädtischen Einzelhandels und mit einem Ausgleich für die durch den Umbau der Mühlstraße (Durchgangsstraße im Stadtzentrum) entstandenen Unannehmlichkeiten. Dieser Widerspruch zieht sich durch: Überregional argumentiert Palmer in der Verkehrspolitik durchaus grundsätzlich und visionär, in der konkreten Kommunalpolitik argumentiert er eher pragmatisch und defensiv.

Auffällig war zudem, dass die Stadtwerke nur sehr zurückhaltend Werbung machten und auch die Lokalpresse das kaum aufgriff. Vermutlich haben viele TübingerInnen erst durch unsere Leserbriefe und Aktionen von dem Angebot der Stadt erfahren. Möglicherweise wollten die Stadtwerke die Palmersche Samstags-Nulltarif-Aktion sogar sabotieren.

Für uns war klar, dass wir diese Vorlage nicht ungenutzt lassen. Unser Dilemma: Wir wollen einerseits die Samstags-umsonst-Aktion nicht grundsätzlich kritisieren, wollten uns andererseits aber auch nicht als Palmerhilfstruppen betätigen. In diesem Dilemma wird die grundsätzliche Offenheit der Kampagne deutlich: einerseits auf Bündnisse in Gemeinderat und Verwaltung/OB angewiesen zu sein, um reell etwas durchzusetzen, andererseits einen über das System hinausweisenden Politikvorschlag zu machen, der aber in dem Moment, in dem ihn die reale Politik aufgreift, sofort an Radikalität verliert.

In der Sams-Aktion beim Stadtlauf im September 09 gelang uns der Spagat. Mit der Kinderbuchfigur Sams forderten wir, dass jeden Tag Samstag sein müsse, und verteilten beim Stadtlauf als Sams verkleidet Freifahrkarten. Somit konnten wir uns zum einen positiv auf die Samstagsmarketingaktion beziehen und uns gleichzeitig mit spielerisch von ihr distanzieren. Die Aktion erreichte ein großes Publikum und viele wohlwollende Rückmeldungen.

Ebenfalls im September 2009 wurde das ZAK auf Betreiben der Linksfraktion (als Gegengewicht zum ADAC :) zum dem relativ hochkarätig besetzten Beirat Tübingen Mobilität 2030 eingeladen. Tübingen hat im Rahmen der Klimaschutzförderung der Bundesregierung Geld bekommen, mit Unterstützung der Uni Kaiserslautern und dem Umweltbundesamt als Modellstadt ein langfristiges Konzept für einen nachhaltigen Stadtverkehr im Jahr 2030 zu erarbeiten. Hauptziel ist die Senkung des CO2- Verbrauchs bis 2030 auf 50%.

Wir sind mit der Einladung gewissermaßen als verkehrspolitische Akteure in Tübingen anerkannt. Nach kurzer Bedenkzeit beschließen wir teilzunehmen, um im Beirat die soziale Komponente in die Öko-Diskussion einzubringen. Andere Akteure und Expert/innen greifen ebenfalls die Frage der sozial bezahlbaren Mobilität auf.

Bei einem Workshop im Februar 2010 gelingt es uns, das Tü-Bus-Umsonst-Thema zu platzieren. Die auswärtigen Referenten beziehen sich großteils sehr positiv darauf. In informellen Gesprächen wird deutlich, dass auch die Stadtwerksführung das Thema ernst nimmt und nicht grundweg ablehnt, allerdings mit dem Einwand, es sei ja nicht umsonst, weil umlagefinanziert und von daher sei unsere Kampagne eine Mogelpackung. Die anwesenden Professoren kontern, man könnte das Ganze ja "Bürgerticket" nennen.

Allerdings wird das Nulltarif-Thema im offiziellen Protokoll nur am Rande erwähnt. Es bleibt abzuwarten, inwieweit es in dem im Herbst vorliegenden Konzept der Uni Kaiserslautern als Teil der Gesamtstrategie aufgenommen wird.

Im November 2009 kündigt Palmer die Verlängerung der Samstag-Aktion bis Weihnachten an, dieses mal auch mit einer offensiveren Begründung und mit Bezug auf die Idee "eines komplett kostenlosen ÖPNV". Die ZDF-Drehscheibe berichtet über die Umsonst-Samstage. Im ZDF befürwortet Palmer sehr eindeutig das Modell des kostenlosen ÖPNVs. In Tübingen bleibt dies allerdings völlig unbeachtet.

Im April 2010 legen die Stadtwerke eine offizielle Bilanz der Umsonst-Samstage vor. Die Zahl der Fahrgäste sei durch den Nulltarif nur "um ein Prozent" gestiegen ("kein Klebeeffekt"). Allerdings haben die Stadtwerke diese Zahl nicht systematisch ermittelt, sondern nur durch eine Befragung der Busfahrer. Das spricht für die Annahme, dass die Stadtwerke die Nulltarif-Samstage nie als "Modellprojekt" oder "Testballon" verstanden haben - allen Aussagen des OB zum Trotz.

Wie weiter? . Für uns stellte sich Ende 2009 die Frage, ob wir die Kampagne weiterhin als unser Hauptbetätigungsfeld fortführen wollen. Es gab Bedenken, ob wir hier neben Palmer in der Öffentlichkeit mit unserem Anliegen ("Soziale Rechte") durchkommen. Die öffentliche Wahrnehmung wird sich, desto stärker Palmer den Nulltarif zu seinem Ding macht (und damit konnte man zu diesem Zeitpunkt rechnen), auf die Öko-Schiene fokussieren.

2. Neue Impulse durch die politische Initiative Tü-Bus-Tickets für Flüchtlinge

Zu diesem Zeitpunkt entwickelt eine Initiative, die wir bis dahin eher am Rande verfolgt hatten, eine ungeahnte Dynamik. Im Oktober 2008 hatten wir mit sozialen Initiativen ein Hearing veranstaltet. Themen waren die derzeitige Nutzung des ÖPNVs durch verschiedene soziale Gruppen und die Chancen, die ein kostenloser ÖPNV ihnen eröffnen würde. Hier wurde deutlich, dass die unter das Asylbewerberleistungsgesetz fallenden Flüchtlinge am meisten von einem kostenlosen ÖPNV profitieren würden.

Im Vorort Tübingen-Weilheim (ca. 3 km bis zum Stadtzentrum) leben derzeit rund 80 Flüchtlinge in einer Sammelunterkunft. Nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten Flüchtlinge monatlich nur 40,90 Euro Bargeld. Busfahrkarten sind für sie daher unerschwinglich. Sie sind von der Mobilität weitgehend ausgeschlossen, was unter anderem dazu führt, dass sie notwendige Arzt- oder Anwaltsbesuche aus Kostengründen nicht wahrnehmen.

Im Sommer baten wir die Tübinger Kirchengemeinden, unsere Forderung nach kostenlosen Monatskarten für die Weilheimer Flüchtlinge zu unterstützen. Im Herbst gab es diesbezüglich Gespräche mit KirchenvertreterInnen und mit OB Palmer. Palmer fand das Anliegen berechtigt, wollte es aber dem regionalen Tarifverbund Naldo zuschieben. Die Kosten von ca. 15.000 €, die die Stadt an Naldo überweisen müsste, will er nicht aufbringen (zum Vergleich: die Samstags-Aktion kostete 60.000 €).

Als das bisher eher nicht-öffentlich geführte Anliegen zwischen den lokalen Akteuren zu verpuffen droht, gehen wir mit einem Bürgerantrag zum Haushalt an den Gemeinderat und mit einem Pressegespräch in die Öffentlichkeit. Das Tagblatt greift das Thema groß auf, SWR 4 berichtet in den Lokalnachrichten. Es folgen mehrere - oft allerdings rassistische - Leserbriefe.

Die Stadtwerke reagieren bereits am folgenden Tag mit einem Brief an das Asylzentrum, in dem sie die Forderung anerkennen und eine Spende von 1500 € für einzelne Monatstickets ankündigen. Mit dem Verweis auf das Diskriminierungsverbot (!) wäre eine Besserstellung einer einzelnen Gruppe rechtlich allerdings nicht möglich.

Diese Argumentation widerlegen wir auf juristischer Ebene in einem Schreiben an die Stadtwerke und an die Gemeinderatsfraktionen, indem wir die Anerkennung der Forderung und die Spende begrüßen, aber gleichzeitig eine politische Lösung fordern. Die Linke übernimmt unsere Forderung, die SPD will zumindest eine begrenzte Zahl von Tickets über den Haushalt finanzieren. Grüne/AL initiieren eine eigene Spendenkampagne (auch für Fahrräder). Am Ende entscheidet der Gemeinderat, dass die Fraktionen etliche Tickets aus eigener Tasche finanzieren. Damit kommt eine beträchtliche Zahl von Monatstickets zusammen. Das Asylzentrum ist hoch zufrieden.

Ein Erfolg dieser Aktion war auf jeden Fall, dass die Lebenssituation der Flüchtlinge über das Thema "Recht auf Mobilität" erstmals seit Jahren wieder ins öffentliche Bewusstsein gerückt ist und kommunalpolitisch zumindest für ein paar Wochen präsent war.

Schwer einzuschätzen ist, was das für die Wahrnehmung der Tü-Bus-umsonst-Kampagne insgesamt bedeutet. Zum einen war - im Gegensatz zu unserer damaligen Einschätzung - möglich, darüber die die soziale Frage wieder offensiv in die Diskussion zu bringen. Zum andern fokussiert sich die Diskussion auf eine bestimmte Gruppe, der Bezug zur allgemeinen Forderung wird von uns am Rande hergestellt, steht aber im Hintergrund. Dies lag auch daran, dass die Initiative tatsächlich aus dem unmittelbaren Interesse der Verbesserung der Lebenssituation motiviert war und sich nicht als Teil der Kampagne insgesamt verstand.

3. Überregionale Resonanz und theoretische Impulse durch den BUKO

Ab dem Herbst 2009 beanspruchen uns die Vorbereitungen zum 33. Bundeskongress Internationalismus, der im Mai 2010 in Tübingen stattfinden wird. Damit haben wir sehr viel weniger Kapazitäten für die TüBus-Kampagne (so wäre nach der kommunalpolitischen Anerkennung sicherlich möglich gewesen, einen neuen Anlauf zu machen, andere verkehrspolitische Initiativen einzubinden, Ergebnis ungewiss…).

Andererseits bieten sich durch die lokale und bundesweite Buko-Vernetzung auch neue Möglichkeiten, das Thema zu platzieren. Ein Hauptthema des Kongresses sind "Commons/Gemeingüter". In diesem Rahmen bieten wir einen Workshop zur Vernetzung von Nulltarif-Initiativen an. Und die zentrale öffentliche Aktion beim Kongress wird eine größere Umsonstfahraktion in der Tübinger Innenstadt mit "Umsonst & Drinnen"-Konzerten lokaler Kulturschaffender in den Bussen sein.

Auch außerhalb der BUKO werden unsere Aktivitäten bundesweit wahrgenommen. Uns erreichen verschiedene Anfragen (Vernetzung Hanau, Sozialticket-Vernetzung der Bundestags-Linksfraktion), andere Städte greifen die Idee auf (Berlin, München). Allerdings haben wir nicht die Kapazitäten, diese Anfragen angemessen zu beantworten, so dass eine wirkliche Vernetzung mit anderen Umsonstfahrinitiativen bisher nicht stattgefunden hat.

Über die BUKO-Vorbereitung finden wir auch zur theoretischen Grundlage unserer Kampagnenidee zurück. Dabei fällt uns auf, dass die Debatten um "soziale Infrastruktur" einerseits und "Commons" andererseits sich überhaupt nicht aufeinander beziehen, obwohl sie ja nahe beieinander liegen. Auf einer Vorbereitungsveranstaltung zum Buko diskutieren wir mit Werner Rätz (Bonn) über diese Debatten.

4. Fazit

Unsere drei Handlungsfelder "öko/realpolitisch/kommunal" , "sozial/realpolitisch/kommunal" und "radikal/theoretisch/überregional" bieten allesamt noch viele Optionen, wenngleich mit verschiedenen Brüchen. Dazu einige Überlegungen:

Angesichts der kommunalen Finanzkrise ist es unwahrscheinlich, dass die Stadt ein so großes und zumindest für bestimmte Gruppen mit Zumutungen verbundenes Projekt angehen wird.

Selbstverständlich müssen wir versuchen, zusammen mit anderen Akteuren im nächsten Haushaltsjahr eine politische Lösung für die Weilheimer Flüchtlinge zu erreichen (also nicht nur auf Spendenbasis). Dabei sollte unser Ziel sein, dass alle Flüchtlinge tatsächlich umsonst fahren können als Verwirklichung des sozialen Grundrechts auf Mobilität. Vermutlich müsste man für eine solche Lösung den Landkreis und den Naldo-Verbund einbeziehen.

Diese erfolgreiche Aktion ist aber wohl kein Modell für eine Fortführung der Kampagne insgesamt. Bessere ÖPNV-Bedingungen für bestimmte Gruppen zu erreichen (wie es beispielsweise die Sozialticketinitiativen oder die Grünen im Tübinger Kreistag fordern), ist schön und gut, aber Mobilität wäre dann immer noch eine Ware, für die man bezahlen muss. Das entspricht nicht unserer Kampagnen-Idee, die ja "postkapitalistisch" über das bestehende System hinausweist.

Für die Commonsdiskussion scheint die Tü-Bus-umonst-Idee tatsächlich bereichernd zu sein, da sie sozialen Grundrechte in Spiel bringt. Wirklich spannend wäre es, über das Thema Mobilität hinaus weitere Felder zu finden, in denen diese Debatte ebenso unmittelbar einleuchtend "funktioniert" wie beim Tü-Bus. Allerdings ist uns dazu trotz verschiedener Hirngymnastik wenig eingefallen.

Gruppe ZAK, April 2010

Kontakt:
ZAK
c/o KHG
Belthlestrasse 40
72072 Tübingen
Email: zak@zak-tuebingen.org

Diesen Text könnt Ihr auch hier herunterladen (Tuebus_Teil2_2010.pdf).

 
 

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